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Stimme im Schneesturm

Wer schon in Istanbul war, kennt die Istiklal-Caddesi. Das ist die wunderschöne Fussgängerpassage mit dem alten roten bimmelnden Trämmli. Als ich mit meiner 12jährigen Tochter am zweitletzten Dezembertag durch diese Strasse spaziere schneit und stürmt es. Wir halten uns die Kapuzen tief ins Gesicht gezogen, den Schnee treibt es uns ins Gesicht. Viele Leute sind trotzdem beim Einkaufen. In der Türkei gibt es den Geschenksegen für Familie und Freunde zu Neujahr. Den Wetterverhältnissen zum Trotz herrscht ein emsiges Treiben.

Mitten in diesem Trubel hören wir eine laute Stimme. „Mama, was ist das für eine Stimme?“ fragt meine Tochter. Die Stimme ruft immer den gleichen Satz. Hat es irgendwo Lautsprecher? Die schöne, sonore Stimme erfüllt die ganze Strasse. Fasziniert suchen wir im Schneetreiben den Ursprung. Da sehen wir sie: Eine kleine runde Frau in dicke Mäntel und Schals gehüllt steht neben ihrem vom Wind zerzausten Losstand. Sie ist es, die immer wieder den immer gleichen Satz ruft, um Kunden anzulocken. Wir bleiben stehen. Wir sind fasziniert von der Durchschlagskraft, dem schönen runden Klang ihrer Rufstimme und der Lautstärke, die sie offenbar mühelos erreicht.

Beim Weitergehen durch den winterlichen Sturm wandern meine Gedanken zu den Patienten des letzten Jahres. Immer wieder begegne ich wunderschönen Stimmen. Oft sind sie noch durch irgendwelche Probleme an der Entfaltung gehindert. Den Patienten auf dem Weg zu Klang und mühelosem Singen zu verhelfen macht mich sehr glücklich. Beeindruckt bin ich immer wieder von der Motivation und dem inneren Drang zum Singen. Auch wenn es manchmal sinnbildlich Gegenwind und Schneesturm gibt, nichts hält Menschen auf, die wirklich singen wollen.

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